Ein Geschichte aus dem Hühnerstall
heute erzählt von Dicke-Bertha, nachdem sie die 12 von 12 – November 2022 Story hörte
„Ich hab gehört, das Fräulein war spazieren und sie hat schlimme Dinge gesehen.“
Die Dicke-Bertha erhebt sich von ihrem Nest. Um noch ein bisschen größer zu wirken, richtet sie sich auf.
„Wann hast du das gehört, Bertha?“ Wally dreht sich auf ihrer Stange, um die Dicke-Bertha besser sehen zu können.
„Vorhin, als sie ihre Geschichte laut gelesen hat. Es muss etwas schreckliches passiert sein.“
„Aber sie denkt sich doch ständig neue Geschichten aus. Das ist bestimmt wieder einer ihrer Einfälle.“ Barbie bläst auf ihre frisch gelackten Krallen und schüttelt den Kopf.
„Fischer-Hein ist gefressen worden!“
Jetzt war es raus. Die Dicke-Bertha plustert sich noch mehr auf und hüpft dabei auf und ab. „Wenn das nicht schlimm ist, Barbie!“
Nun sind alle Hühner hellwach. Denn wenn jemand gefressen wird, dann lauert Gefahr. Und Gefahr ist im Hühnerstall nicht gewünscht.
„Wer zum Kuckkuck ist Fischer-Hein?“ In jedem guten Hühnerstall gibt es ein ignorantes Huhn. Das ist in diesem Fall Henriette – häufig Henry genannt.
Keines der Hühner mochte zugeben, dass sie nicht wussten, wer Fischer – Hein ist – oder, wie in diesem Fall, war. Sie gackern durcheinander und werfen Ideen in den Raum, wer dieser ominöse Fischer sein könnte und warum er gefressen wurde. Es wird laut im Stall.
Wenn die Dicke-Bertha eines nicht leiden kann, dann Krach. Lärm macht sie nervös und reizbar. Sie hüpft neben Wally auf die Stange und brüllt: „R-U-H-E!“
Langsam kehrt Ruhe ein und Bertha beginnt zu erzählen.
„Hein war Fischer und er war neugierig. Sehr neugierig sogar. Er steckte seine Nase in jedermanns Angelegenheit. Und er sammelte alles auf, was glänzte. Einmal, da hat er die Taschenuhr von seinem Nachbar aufgesammelt, obwohl die gar nicht auf dem Boden lag.“
„Komm zur Sache, Bertha.“ Wally rollt die Augen.
„Ja, ja! Also eines Tages, Fischer-Hein suchte am Ufer des Flusses nach Schätzen, da sieht er etwas seltsames. Es ist ein Ei.“
„Ein Ei! Oh Gott, oh Gott! Ein Ei! Wie konnte es dahin kommen? Wer lässt denn seine Kinderchen einfach so herum liegen?“
„Komm runter, Gabi. Es ist nur eine Geschichte!“ Wally schüttelt genervt den Kopf.
„Gabi, es war keines von unseren Kinderchen.“ Dicke-Bertha blinzelt. „Aber die Geschichte ist wahr, Wally. Ich hab es selbst gehört.“
Dicke-Bertha holt tief Luft. „Es war ein Drachenei!“ Sie schaut in die Runde und nickt bekräftigend. Die Hühnerschar holt hörbar Luft. Außer Wally. Die dreht den Kopf weg und unterdrückt ein Lachen.
„Fischer-Hein hob das Ei auf. In dem Moment stürzte ein riesiger Drache vom Himmel. Er war so groß wie ein Adler. Ach was, er war noch viel größer. Mit riesigen Krallen packte er den Fischer-Hein am Kragen und flog mit ihm davon. Er wurde nie wieder gesehen.“
Raunen geht durch den Hühnerstall. Nur Wally ist unbeeindruckt.
„Wer wurde nie wieder gesehen? Der Drache oder dieser Hein? Ach Bertha, wie soll das gehen. Es gibt keine Drachen.“
„Wally, aber klar gibt es Drachen. Das hat das Fräulein selbst gelesen. Und sie hat eine Feder gefunden.“ Dicke-Bertha ist entrüstet. Sie fährt fort, ihre Geschichte zu erzählen.
„Also der Drache schnappt sich Fischer-Hein und fliegt davon. Dabei verliert Fischer-Hein einen Schlappen und das Ei.“
„Nein!“ Gabi weint. „Das arme Ei. Ist es zerbrochen?“
„Meine Güte, Gabi!“ Wally kann es nicht fassen. So viel Dummheit in einem Huhn. „Es ist eine Geschichte. Und natürlich wäre das Ei zerbrochen. Wenn ein Ei aus einer gewissen Höhe fällt, dann geht es kaputt. Das weiß doch jeder.“
„Es ist nicht zerbrochen, Wally.“ Dicke-Bertha hat jetzt Oberwasser. „Es lag noch völlig heil am Ufer als das Fräulein es heute fand.“
Wally legt den Kopf schief und blickt Bertha aus einem zusammengekniffenen Auge an. „Dir ist schon klar, dass an der Geschichte etwas nicht stimmen kann. Bist du sicher, dass es so gewesen ist?“
„Pah!“ Bertha hüpft beleidigt von der Stange und wackelt zu ihrem Nest. „Ich weiß doch was ich gehört habe!“
Am Abend wird es still im Stall.
„Wally?“ Küken steckt seinen Kopf unter den Flügeln seiner Mutter hervor.
„Hmmm… was ist Küken?“
„Meinst du der Drachen kommt wieder und holt das Fräulein, weil sie doch jetzt das Drachenei hat?“
„Ich glaub nicht. Und wenn, dann sind wir ja da und helfen ihr. Und jetzt schlaf. Morgen hat das Fräulein bestimmt wieder neue Ideen. Da wird sie sicher wieder unsere Mitwirkung brauchen.“
„Okay, Wally. Gute Nacht.“
„Gute Nacht, Küken.“