Geschichten! – brauchst du sonst noch was?

Türchen

Inhalt heute:

Episoden aus der Reha – oder: wie man Langeweile bekämpft

Eine epische E-Mail Geschichte.

Hallo meine Lieben, 

Es ist bald geschafft. Die Heimat ruft. Meine Stimmung steigt daher auch an. 

Heute Morgen bin ich noch einmal walken gegangen. 

Wer hat eigentlich zugelassen, dass die Tilly allein in den Wald darf? 

Der Himmel ist wie immer grau. Aber es regnet nicht. Nicht mehr. 

Ich ziehe mich warm an. In Zwiebeltechnik so zu sagen. Mit dem Stirnband über den Ohren sehe ich blöde aus, aber es hält warm. Bis ich mit dem Anziehen fertig bin, ist mein Ruhepuls auf 96 und ich schwitze. Mein Schweinehund meint: „eigentlich brauchen wir nur die Treppe runter und an der Rezeption vorbei wieder über das andere Treppenhaus ins Zimmer zurück, dann wäre unser Belastungs – Pulsdings von 115 erreicht und wir können uns das Walken sparen. Einfach einen Haken auf dem Therapieplan setzen. Fertig!“ 

Nein – die Ausdauer muss trainiert werden und Schweinehund bleibt im Zimmer. 

Ich beschließe, die Strecke von gestern noch einmal zu gehen. Auf der Route vier. Ohne verlaufen, circa 60 Minuten und die meiste Zeit über weiche, windgeschützte Waldwege. Das war gut. Gestern. Heute verlaufe ich mich. 

Es ist von Anfang an der Wurm drin. 

Aufwärmen, dehnen und los. Erst mal auf der Route fünf. Weiter vor mir erblicke ich Frau Emina (eine Mitpatientin) mit ihren drei Blagen. Offensichtlich auf dem Weg zum Strand. Der kleine Stinker hat eine Schaufel in der Hand. 

Wie ein Schaf trotte ich denen hinterher und verpasse die Abzweigung zur Route vier. Tja – wo ich nun da rauskomme, wo ich noch nie war, sagt mir die Emina, dass ich nur links herum gehen müsse und da wäre dann auch schon der Deich. Danke.

Egal, denke ich so, dann walke ich die Route vier eben in die andere Richtung. Kann ja nicht so schwer sein. Oder? 

Also laufe ich ein Stück auf dem Deich. Ich weiß ungefähr, wo ich den Einstieg in die Route finde. 

Es ist sehr windig heute. So um die Windstärke acht nach Beaufort. Mindestens. Es haut einem die Stöcke aus der Hand. Auf dem „Platz des Vergnügens“ oder der „Erlebnispromenade“, wie sie hier genannt wird, steht eine Hinweistafel mit den aktuellen Wetter Daten. Windstärke vier, nach BF. Nie im Leben! 

Ich bin zu der Erkenntnis gekommen, dass die Nordfriesen lügen. Nicht nur weil sie die Windstärke nicht richtig angeben. Nein. Auf den Postkarten mit Fotos von St. Peter ist der Himmel immer blau. Das stimmt aber nicht. Hier ist der Himmel immer grau. Die retuschieren die Bilder. Erzähl mal nix. 

Also –  ich walke eine Weile auf dem windigen Deich und freue mich, dass ich bald in den Wald komme, wo der Wind nicht so bläst und ich die schlimmere Strecke, also die fiese, windige, dann schon hinter mir habe. 

Die Route vier ist schnell gefunden und ich erkenne das ein oder andere Detail, an dem ich gestern vorbeigekommen bin. Hurra. Ich bin doch nicht so orientierungslos, wie alle immer sagen. 

Und wie ich so gehe, mit langen Schritten, langem Arm und langem Schuh und lächelnd natürlich, stehe ich plötzlich vor einer Aussichtsplattform. Nanu, denke ich. Wo kommt die denn jetzt her? Die war doch gestern noch nicht da? 

Oha – da muss es mir bei irgendeiner Abzweigung wohl an nötiger Aufmerksamkeit gefehlt haben. Ein klitzekleiner Rechtsdrall und schon ist man ganz woanders. 

Zum Glück ist da ja die Aussichtsplattform. Die steige ich dann auch gleich hoch. Weil von da oben kann ich eventuell den Weg wieder finden. 

Oben angekommen, muss ich mich am Geländer festhalten. Der Wind hat noch einmal an Stärke zugelegt. Er pustet jetzt mit 9 BF. Echt. Ich friere, halte aber Ausschau nach dem Baukran, der zur Klinikbaustelle gehören könnte. 

Was für eine geile Aussicht. Weil ich mir hier nicht den Tod holen will, kann ich leider nicht lange verweilen. Da! Zwei Baukräne sind in der Ferne auszumachen. Aber welcher gehört jetzt zu meiner Anstalt? Sie stehen nämlich in entgegengesetzter Richtung. Einer links, der andere rechter Hand. 

Eine vage Vermutung habe ich und so trotte ich denn in die Richtung, wo ich denke, dass … Genau. Wie ich denke, dass … 

Das mit dem Denken ist nicht so meine Sache. Jedenfalls nicht, wenn es um Richtungen geht. Der Weg, den ich nehme, der windet sich in wilden Schlangenlinien durch die Dünen. Schließlich und endlich komme ich wieder am Deich raus. Nur eben noch weiter hinten. Also irgendwie viel weiter hinten. Frag mich nicht, wie das möglich ist. 

So ein Scheiß aber auch. Jetzt bläst der Wind von vorn. Es ist kaum ein Vorankommen. Von wegen Windstärke vier. 

Nach gefühlten zwei Stunden lande ich in der Fußgängerzone. Windstill, sportlich langsam und tröstlich. Und nur die Tatsache, dass ich kein Geld dabei habe, hält mich davon ab, um 11:00 Uhr morgens einen starken Rumgrog zu trinken. 

Ein Blick auf die Uhr: ich war gerade mal 50 Minuten unterwegs! In Nordfriesland geht selbst die Zeit anders. 

Für die letzte Strecke auf dem mir bekannten Waldweg, Richtung Klinikzelle, nehme ich dann wieder die Stöcke in die Hand und walke, wie es sich gehört. Könnte ja ein Mitpatient meinen Weg kreuzen. Für den Fall würde ich einen überheblichen Blick aufsetzen, der jedem von Weitem schon sagen wird: sieh mal, ich laufe auch bei Schietwetter. Es kommt aber niemand. 

Nur mein Puls schnellt noch mal in die Höhe. Den messe ich lieber nicht. Ich trage einfach die Pulsdaten von vorgestern ein. Die lagen im Normbereich. Nicht dass man mich nachher noch wegen Bluthochdruck länger hier behält. 

So – meine Lieben. 

Gleich gibt es unten einen Film. Den kenne ich schon. Aber was will man machen? Der Fernseher, der in meinem Zimmer steht, hat 4x RTL im Angebot, einmal Bibel- TV, einen dänischen Sender sowie zwei Rentner – Abzock – Sender, die versuchen ihre Glitzer T-Shirts und ihre Plastikklunker an die Hausfrau zu bringen. Die anderen 28 Sender rauschen und zeigen keine Bilder. Was soll’s. 

Ich grüße euch ganz herzlich, 

bis bald,

Eure Tilly

Morgen gibt's BINGO!

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