Geschichten! – brauchst du sonst noch was?

Türchen

Inhalt heute:

Eine erschreckende Erfahrung …

Die dunkle Schwester meiner Muse ist zu Besuch.
Letzten Donnerstag stand sie plötzlich da.

Nichts ahnend hatte ich die Tür geöffnet. Bevor ich etwas hervorbringen konnte, hatte sie sich an mir vorbeigedrängt und zog dabei ihren schwarzen Koffer über meine Zehen. Das schwere Ungetüm erweckte in mir kein gutes Gefühl.
„Wo finde ich die Muse?“, hatte sie gefragt. Überrumpelt hatte ich auf die Schreibkammer gezeigt. Ohne ein weiteres Wort war sie mit wallendem Gewand den Flur entlang geschritten. Ein Kofferrad quietschte.

Das war am Donnerstag. Sie ist nicht wieder gegangen.

Ich klebe am Schreibtisch. Der Stift in meiner Hand ist bleischwer. Das Papier blendet wie ein Spiegel in der Sonne. Mitternacht ist vorbei, der Sonntag beginnt.
Mein Blick fällt in die Ecke meiner Schreibkammer, wo der Ohrensessel steht. Ich mag dieses grüne Ding mit seiner hohen Lehne und den dickbauchigen Armlehnen. Die Ohren an der Rückenlehne vermitteln mir Geborgenheit. Sein Geruch erinnert an Opa und die gemütlichen Stunden mit ihm, wenn er mir seine ausgedachten Geschichten erzählte.

Der Ohrensessel ist ein Treffpunkt für meine Muse und mich. Wir kuscheln uns in den weichen Sitz, atmen den Duft von altem Polster und greifen, wenn es nötig ist, hinter uns ins Bücherregal. Auf dem krummbeinigen Beistelltischchen dampft Kaffee und die Kekse, die Muse so gern isst, stehen in der kleinen Porzellanschale mit den Röschen bereit. Dann schweifen wir in ferne Länder, erleben Abenteuer, von denen wir berichten. Wir lernen Leute und andere Formen von Lebewesen kennen, diskutieren mit Königen und Feldherren und können sogar, wenn wir richtig gut drauf sind, mit Tieren sprechen.

Jetzt sitzt nicht die Muse dort. Ihre dunkle Schwester hat von meinem Lieblingssessel Besitz ergriffen. Ihre unangenehmen Augen ruhen auf mir. Spott ist darin zu lesen. Sie spricht nicht mit mir. Sie thront nur da und wartet.


Die Muse steckt ihren Kopf ins Zimmer und lächelt mich an.
„Sie muss nachdenken, Schatz.“ Die dunkle Schwester erhebt sich aus dem Sessel und gleitet Richtung Tür.
„Dabei kann ich ihr doch helfen.“ Muse bemüht sich um einen animierenden Tonfall. „Das kann ich gut.“
„Wenn du ihr immer hilfst, du Schäfchen, lernt sie es doch nie. Schau sie dir an. Ganz verkrampft hockt sie vor dem Pult und hat noch nicht ein Wort gekritzelt. Du brauchst ihr nicht assistieren. Jetzt bin ich ja da. Ich kümmere mich um euch beide.“ Durch ihr bleiches Gesicht zuckt die Andeutung eines Grinsens. „Komm Liebes, geh wieder in den Keller und sortiere weiter die Mitbringsel aus meinem Koffer.“ Bestimmend schiebt sie die Muse aus dem Raum.
Ich weiß nichts über die Verwandtschaft meiner Muse. Über dieses Thema müssen wir unbedingt einmal sprechen.
„Wann werden Sie denn wieder zu Hause zurück erwartet?“, wage ich zu fragen. Ich merke, wie ich ihr auf die karminroten Lippen starre und die richtige Antwort erwarte.
„Ich bin zu Hause, meine Liebe.“
Das Blut gefriert in meinem Herzen. Gleich wird es aufhören zu schlagen. Habe ich mich verhört?
Zumindest hat sie gesprochen. Ein guter Anfang.
„Äh, Gnädigste. Sie können hier nicht einziehen. Dieses Haus ist viel zu klein für eine zusätzliche Person. Und mein Vermieter, der …“ Weiter komme ich nicht. Mit nur einem Satz steht sie dicht vor mir. Unsere Nasen berührten sich fast. Ihr Atem riecht bitter wie Galle und ihre schwarzen Augen verengen sich zu Sehschlitzen.
„Du bist nichts!“ zischt sie duster.
Gänsehaut breitet sich über meinem Körper aus.

Es wird kalt im Zimmer, das Licht flackert. Neblige Dunkelheit kriecht aus den Ecken. Ihre bloße Anwesenheit ist wie eine Klammer, die keine Bewegung zulässt. Hilflos lasse ich mich auf den Bürostuhl sinken.

Dieses Wesen muss hier raus, und zwar schnell. Nur wie? 

Wird sich die Dunkelheit weiter ausbreiten?
Die Antwort kannst du morgen lesen.

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